Dienstag, 22. August 2017

Schattengestalten

Schattengestalten.
Überall sehe ich Schattengestalten. Wie sie versuchen, wie sie krampfhaft versuchen, ihr Leben zu leben. Perfekt zu sein. Keine Fehler zu machen. Keine Fehler zu sehen.
Ich fahre mit dem Rad. Fahre vorbei an gestutzten Hecken und gestärkten Gardinen. Fahre vorbei an kläffenden Hunden, an schlafenden Katzen, an lachenden Kindern und grimmig guckenden Großeltern. Fahre vorbei an Schulen und Kirchen, alles Institutionen, um uns vor der Wirklichkeit blind zu machen.

Schattengestalten.
Ich wusste nie, was sie mit diesem Wort meinte. Bis jetzt. Wie sie alle versuchen, ihre Schatten zu verstecken, dabei sind sie nicht mehr als ein Schatten ihrer Selbst. Nur ja nicht anders sein. Nur ja nicht merkwürdig sein. Nur ja nicht bunt sein. Sie sind grau. Allesamt sind sie grau. Nur manchmal, wenn sie sich mit der Hand über das Gesicht fahren, dann verwischen sie das Grau und ihre Farbigkeit kommt für einen kurzen Augenblick zum Vorschein. Wenn sie merken, dass man es sieht, malen sie sich die betroffenen Stellen ganz schnell wieder Grau.

Schattengestalten.
Was sind wir nicht alle für Schattengestalten. Und bei dem krankhaften Versuch, perfekt zu werden, werden wir krank. Wir werden süchtig. Süchtig nach Sonnenschein, nach Kaffee, nach Kuchen, nach einem Blickkontakt. Süchtig nach dem Meer, nach Einsamkeit, süchtig nach Nähe. Manchmal sogar süchtig nach Nikotin und Alkohol, nach Essen, nach Nicht-Essen, nach Essen-und-wieder-auskotzen, nach Schmerzen, nach Blut. Süchtig nach etwas, das den Schmerz wegnimmt. Den Schmerz über das Leben, über die Erkenntnis, nicht genug zu sein. Wir machen uns selbst etwas vor, wenn wir sagen, wir kommen klar. Wir kommen nicht klar. Wir kommen schon lange nicht mehr klar. Uns geht es nicht gut, uns geht es beschissen. Seht euch doch nur  mal um. Kriege, Machtspiele, Katastrophen, Klimawandel, Diskriminierungen. Uns geht es beschissen.

Schattengestalten.
Ich weiß jetzt, was sie damit meinte.