Freitag, 14. November 2014

Hello, I'm your mind. Giving you someone to talk to. (eine kleine Geschichte)

Mitte November fallen normalerweise keine Blätter mehr von den Bäumen, da diese vollkommen leer sind. Dieses Jahr ist das anders. Ein Blick aus dem Fenster verrät der jungen Frau, fast noch ein Kind, dass der Herbst noch nicht vorbei ist. Die Krähen und Raben sitzen in großen Gruppen auf den riesigen, alten Bäumen vor ihrem Haus, bzw. ihrer Wohnung. Sie beobachtet das schon seit Wochen. Wie sie sich sammeln und dann mit lautem Gekreische entfliehen und davonziehen. Dabei sind Krähen gar keine Zugvögel. Sie ziehen ja auch nicht fort. Sie bilden große Bande, um Nahrung leichter finden zu können, sich Wärme zu spenden und zu schützen. Wenn es wieder wärmer wird, geht jeder von ihnen wieder den eigenen Weg. Bei Menschen ist das anders. Sie hat das Gefühl, je kälter es wird, desto unfreundlicher werden Menschen. Und unaufmerksamer und streitsüchtiger. Vor allem ihr Vater, aber der zählt eigentlich nicht, da er sowieso immer mit ihr streitet. Sei es wegen einer Scheibe Brot, sei es wegen eines Zopfgummis.
Ein eisiger Wind weht in das Fenster. Sie schließt es. Bald beginnen die Feiertage, schrecklich wie immer, aber noch schrecklicher seit sie nicht mehr weiß, was sie tun soll. Sie hat Schulden über Schulden, sogar bei ihrem Freund. Sie schläft kaum noch, höchstens drei oder vier Stunden die Nacht, wenn überhaupt. Keinen Bissen bekommt sie runter und wenn doch, fühlt sie sich schlecht. Sie ist schon dünn, keine Frage, und eigentlich will sie auch gar nicht mehr DÜNNER werden, darum geht es ihr nämlich gar nicht. Sie kann bloß nicht mehr essen. Es ist als hätte sie das Essen, Lachen und Schlafen verlernt. Sie liest stundenlang fette Schmöker, einen in zwei Tagen, und starrt sinnlos in ihren Fernseher. Morgens, wenn ihre Mutter noch im Bett liegt und schläft, singt sie. Leise, ganz leise für sich. Manchmal auch laut, aber das nur, wenn sie alleine ist. Singen tut sie gerne, es gibt ihr das Gefühl, etwas zu können. Und das ist ihr wichtig, weil sie das Lebenswichtigste verlernt hat. Sie ist sogar der Überzeugung, dass sie bald das Atmen verlernt. Das kann sogar passieren. Mehrmals in den letzten Wochen hat sie mitten beim Lesen oder Rauchen oder Fernsehen vergessen zu atmen. Auch wenn sie wütend ist (und das ist sie sehr oft), stockt ihr der Atem, aber sie denkt, das wenigstens ist normal.
Ein stechender Schmerz fährt in ihre Brust. Wie ein Messer sticht er in ihre Brust und kommt nicht mehr heraus. Sie krampft zusammen und setzt sich auf den Boden. Neben der Heizung, wo es warm und behaglich ist. Plötzlich kommen die Tränen. Sie weiß, dass dieser Schmerz weder körperliche Ursachen hat, noch geheilt werden kann. Das kommt von ihrer Traurigkeit und ihrer Wut, ihrer Angst und ihrer inneren Leere. Sie ist furchtbar traurig, immer, selbst wenn sie lacht. Manchmal ist sie auch schrecklich wütend und dann schreit sie und sagt Dinge, die sie gar nicht so meint und die ihr später leid tun. Manchmal weiß sie auch gar nicht mehr, was sie gesagt hat. Noch häufiger als wütend ist sie ängstlich. Das ist so eine Angst, die erst kommt, wenn es zu spät ist. Sie erkennt die Anzeichen manchmal. Das Aufstellen der Nackenhaare, die Gänsehaut, das Herzrasen oder die Bauchschmerzen. Doch meistens verwechselt sie das damit, dass sie friert oder einfach nur Hunger hat. Dann wird es zu spät und sie hat eine Panikattacke. Es kam sogar mal mitten in der Stadt vor und da musste sie dann noch nach Hause. Jetzt gerade ist es keine Panik. Es ist die pure Traurigkeit. Sie schluchzt unaufhörlich und das nicht gerade leise. Heiße Tropfen rinnen auf ihr Shirt und auf den Boden. Ganz klein macht sie sich und rollt sich zusammen, immer in der Nähe ihrer Wärmequelle. Sie wird das nicht mehr lange mitmachen. Aber sie hat versprochen, sich nicht umzubringen. Ihrem Freund und ihrer Mutter und ihrer Freundin hat sie das ins Gesicht gesagt als sie es auch so gemeint hat, aber das ist Wochen her. Innerlich hat sie es ihrer Oma und ihrem Bruder und ihrer Cousine geschworen und den Leuten aus ihrer Schule, die sie ja eigentlich mag. Und dann gibt es da dieses dumme Versprechen an eine Tote, bevor sie tot war. Deshalb taucht jetzt immer wieder eine Frage im Kopf der jungen Frau auf:

"Muss man ein Versprechen an eine Tote eigentlich halten?"


1 Kommentar:

  1. Die Antwort lautet in dem Fall JA, finde ich.

    Die einzige Möglichkeit Toten Respekt zu zollen, ist zu leben.

    Unabhängig davon hast du es einfach nicht verdient, diesem Impuls nachzugehen. du hast es verdient zu leben, weiterzumachen und eines Tages glücklich zu werden - auch wenn du dir das im Moment vielleicht nicht vorstellen kannst. Aber irgendwann hast du es geschafft, irgendwann ist diese Zeit vorbei und du kannst aus deinem Leben etwas Wunderbares machen.

    AntwortenLöschen

Let me know your Kommentar :'D